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Erststimmenprognose

„Sie haben zwei Stimmen“ – dieser Satz steht auf jedem Wahlzettel zur Bundestagswahl. Neben den Parteienlisten über die Zweitstimme wird auch ein Direktkandidat für den Wahlkreis mit der Erststimme gewählt. Daher habe ich das Wahlmodell um eine Erststimmenprognose erweitert, damit auch die lokale Komponente der Bundestagswahl abgedeckt wird.

Wo wird es spannend? Wo steht ein Wechsel an?

Union steht vor großen Verlusten

Ein Vergleich mit den Erststimmenergebnissen aus 2017 zeigt, dass die Union aktuell die größten Verluste an Direktmandaten zu befürchten hat. Während sie 2017 in fast allen Bundesländern außer Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westphalen annähernd alle Direktmandate gewinnen konnte, sieht die aktuelle Prognose eine deutliche Zunahme der SPD Wahlkreise. Lediglich in Bayern und Baden-Württemberg hat die Union noch richtige Hochburgen und könnte eine deutliche Mehrheit an Direktmandaten erringen. Vor allem in Deutschlands Süden ist die Union noch sehr stark, während im Norden die SPD viele Direktmandate gewinnen könnte. In vielen Wahlkreisen ist die Tendenz aber aktuell noch nicht absehbar, da der Abstand der Parteien untereinander zu gering ist, um einen sicheren Gewinner auszumachen.

Spannende Entwicklungen in den Großstädten

In den Großstädten zeigt sich, dass diese Bundestagswahl sehr spannend werden wird. In Berlin könnten die Grünen statt einem vier Wahlkreise gewinnen, die SPD weiterhin drei, Union zwei und die Linken drei. Der Zugewinn der Grünen geht damit auf Kosten von Linken und Union.

Hamburg war und ist eine SPD Hochburg. Hier könnten die Sozialdemokraten alle Wahlkreise für sich gewinnen. Das wäre ein Zuwachs von einem Direktmandat.

In München zeigt sich hingegen eine komplette Trendwende ab. Während 2017 noch alle Wahlkreise von den CSU Kandidaten gewonnen wurden, könnte jetzt kein einziger Wahlkreis an die CSU gehen. In 3 von 4 Wahlkreisen zeigt die aktuelle Prognose einen Vorsprung der Grünen an; im Münchner Norden einen Vorsprung der SPD. Die Abstände zu den anderen Parteien insbesondere zur CSU sind allerdings teils sehr knapp. Das Direktwahlergebnis für München könnte sehr knapp und damit spannend werden. Die bayerische Hauptstadt ohne CSU Direktmandat wäre sicherlich eine herbe Niederlage für die CSU.

Auch in Stuttgart droht die CDU ihre Direktmandate zu verlieren. Im Grün regierten Baden-Württemberg haben die Grünen in beiden Stuttgarter Wahlkreisen aktuell die Nase vorne. Stuttgart könnte ebenfalls deutlich grüner werden. Auch das Stuttgarter und das Münchner Umland sind nicht mehr so fest in Unionshand wie zur letzten Wahl. Hier sind die Vorsprünge teils sehr klein und damit der Wahlkreis noch offen.

In Frankfurt, Köln, Düsseldorf und im Ruhrgebiet könnte hingegen die SPD deutliche Gewinne einfahren. Hier zeigen fast alle Prognosewerte einen Sieg der SPD an.

Ganz anders spannend könnte die Wahl in Dresden und Chemnitz verlaufen. Hier führt die AfD die Wahlkreise aktuell knapp an. Es könnte also sein, dass die AfD in der sächsischen Hauptstadt möglicherweise sogar zwei Direktmandate holt.

SPD vor allem im Nord-Westen stark

Die SPD könnte die große Gewinnerin der Wahl auch bei den Direktmandaten sein. Der absolute Zugewinn an direkt gewählten Abgeordneten wird für die SPD am größten sein. Insbesondere im Norden und Westen Deutschlands kann die SPD auf Siege hoffen, aber auch in Nürnberg stehen ihre Chancen gut. Sie ist dabei nicht nur in den Städten und im Ruhrgebiet stark, sondern durchaus auch in ländlicheren Wahlkreisen in Hessen, Rheinland-Pfalz und Brandenburg.

Städtepartei Die Grünen?

Den Grünen wird oft nachgesagt lediglich in Großstädten stark zu sein und sich insbesondere für die Interessen von Großstadtbewohnern einzusetzen. Ein Blick auf die Erststimmenprognose zeigt ein leicht anderes Bild. Zwar haben die Grünen gute Chancen Direktmandate in Berlin, München und Stuttgart zu erreichen, aber auch in den Wahlkreisen Ravensburg, Tübingen, Freiburg, Karlsruhe und Heidelberg in Baden-Württemberg zeichnet sich ein Sieg der Grünen ab. Diese Wahlkreise sind sicherlich auch urban geprägt aber bei Weitem nicht nur. Es zeigt sich neben der Stärke der Grünen in Berlin und München auch eine überdurchschnittliche Stärke in Baden-Württemberg ab.

Möglicher AfD Erfolg in Sachsen

2017 konnte die AfD in Ostsachsen drei Wahlkreise gewinnen. Dies war für viele eine Überraschung. Nun zeigt die Prognose, dass die AfD ihre Direktmandate möglicherweise sogar noch erhöhen könnte. In insgesamt 11 Wahlkreisen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen hat die AfD aktuell die Nase vorn; in einigen allerdings lediglich knapp. Insbesondere die Städte Dresden und Chemnitz könnten sehr spannend werden. Die relative Stärke der AfD in diesen Wahlkreisen ist aktuell allerdings vor allem durch die Schwäche der Union bedingt.

Übersicht über die Direktmandate

PrognoseUnionSPDGrüneAfDLinke
Sicher (Vorsprung > 10%)4573311
Wahrscheinlich (Vorsprung >5% <10%)3941322
Tendenz (Vorsprung >0% <5%)45376121
Wahlkreise, die als Tendenz zu einer Partei ausgewiesen sind, sind als offen zu betrachten, da der Vorsprung zu gering ist, um einen klaren Sieger zu ermitteln. Stand: 19.09.2021

Wie kommt die Erststimmenprognose zustande?

Für die Erststimmenprognose habe ich zwei verschiedene Methoden evaluiert und die bessere für die Prognose verwendet.

Das Modell basiert auf den Prognosewerten der Parteien, die ich mit dem Prognosemodell ermittelt habe. Nun wurde dann für jeden Wahlkreis ein individueller Faktor für die Parteien errechnet, da Parteien unterschiedlich gut in den Wahlkreisen abschneiden.

Dieser individueller Faktor wurde einmal errechnet als Quotient des Erststimmenergebnisses der letzten Wahl und des Bundesergebnisses der letzten Wahl. Ein anderes Mal als dreijähriger Durchschnitt, d.h. die Wahlergebnisse der Bundestagswahlen 2017, 2013 und 2009. Anhand der Bundestagswahl 2017 wurden diese beiden Methoden überprüft. Es zeigte sich, dass der einjährige individuelle Faktor genauer ist, als der dreijährige Durchschnitt, daher wurde dieser Wert dann für die Erststimmenprognose verwendet.

Das verwendete Modell hat im Jahr 2017 eine Genauigkeit von 92,6% erreicht, d.h. 277 von 299 Wahlkreisen wurden korrekt vorhergesagt.

Um einen Prognosewert für eine Partei in einem Wahlkreis zu ermitteln wird dann der aktuelle Prognosewert für den Bund mit dem individuellen Faktor für den Wahlkreis und die Partei multipliziert. Danach werden die Ergebnisse verglichen, ein Sieger ermittelt und der Vorsprung berechnet.

Faktoren der Kandidierenden wurden nicht mit einbezogen, da es sich dabei um ein vereinfachtes Modell aus bekannten Gründen handelt.

Das schlechtere Abschneiden des dreijährigen Durchschnittes bedeutet auch, dass sich das Wahlverhalten in den Wahlkreisen über die Zeit verändert. Daher sind alle Modelle auf Wahlkreisebene nochmals schwieriger, da insbesondere auch lokale und persönliche Faktoren das Wahlergebnis stark beeinflussen können. Diese Faktoren sind nicht nur schwer zu ermitteln, sondern auch kaum quantitativ messbar, da keine öffentlichen Umfragen in allen Wahlkreisen durchgeführt werden.